Artikel in der AZ vom 17. April (Melanie Häfliger)
Deutschland geschlagen, Schweden geschlagen, Russland geschlagen und am Schluss
mit Rang 4 das beste Resultat in der Geschichte des Schweizer Frauen-Eishockeys
realisiert: die Meisterschwanderin Melanie Häfliger über die A-WM in China.
ANDREAS FRETZ
Melanie Häfliger, wie erklären Sie sich den Exploit des Schweizer Teams?
Melanie Häfliger:
Das ist im Nachhinein immer schwierig zu beurteilen. Ursprünglich war der
Klassenerhalt unser Ziel. Nach dem 3:0-Startsieg gegen Deutschland wussten wir,
dass mehr möglich ist. Das verlieh uns zusätzlichen Schub. Auch hat uns der
Trainerstab gut auf die Gegnerinnen eingestellt. Bereits in der Vorbereitung
konnten wir einen guten Spirit aufbauen. Die Mischung aus jungen und
routinierten Spielerinnen hat gepasst.
Gab es
Schlüsselerlebnisse?
Häfliger: In der
Vorbereitung haben wir oft gegen die Deutschen gespielt und nie gewonnen. Das
Deutschland-Spiel war sicher wichtig. Danach wurde das Turnier zu einem
Selbstläufer, wir hatten nichts zu verlieren. Der Sieg im Penaltyschiessen gegen
Schweden gab uns Kraft für das Spiel gegen Russland. Natürlich beanspruchten wir
auch das Glück des Tüchtigen, und mit Florence Schelling haben wir eine
ausgezeichnete Torfrau.
Wie
erklären Sie die Fortschritte des Teams in den letzten zwei, drei Jahren?
Häfliger: Der
Betreuerstab strahlt Ruhe aus und erledigt im Hintergrund einen unglaublich
guten Job. Wir haben gute Trainingsmöglichkeiten und sind Mitglied von Swiss
Olympic. In den letzten Jahren stiessen viele junge Spielerinnen zum Team, die
bis ins Novizen-Alter bei den Knaben spielten. Da merkt man die gute Ausbildung.
Es sind viele Puzzle-Teile, die zum Aufschwung beitrugen.
Wie fällt
Ihr persönliches WM-Fazit aus?
Häfliger: Erwarte
nichts, gib alles, das war unser WM-Motto. Der vierte Rang ist grandios, es
dauert wohl noch ein Weilchen, bis ich das richtig einordnen kann. Die direkte
Olympia-Qualifikation für Vancouver 2010 löste in mir eine Euphorie aus. Während
der WM folgte ein Hochgefühl dem nächsten, auch wenn die Enttäuschung nach dem
verlorenen Spiel um Platz 3 zunächst gross war.
Sie haben
gegen den späteren Weltmeister USA das einzige Schweizer Tor geschossen.
Häfliger: Es war
unser grosses Ziel, gegen die USA ein Tor zu erzielen. Natürlich muss ich auch
die Vorarbeit meiner Kollegin loben, ich konnte fast nicht anders, als das Tor
zu treffen. Es befriedigt einen schon, wenn man als Amateur den Profis alles
abverlangen kann.
Verhilft
dieser Erfolg dem Frauen-Eishockey in unserem Land zu einem Aufschwung?
Häfliger: Ich hoffe
und wünsche mir das. Viele Leute wissen gar nicht, dass es uns gibt, oder sie
haben Vorurteile, wie das auch beim Frauen-Fussball der Fall ist. Durch die
gesteigerte Aufmerksamkeit der Medien fällt es den Vereinen möglicherweise
einfacher, Nachwuchs zu rekrutieren.
Bereits
2004 qualifizierte man sich in China für die Winterspiele von Turin. Das Land
scheint den Schweizerinnen zu liegen?
Häfliger: Das ist
so, darüber haben wir teamintern auch gesprochen. Offenbar konnten wir uns
besser auf die dortigen Bedingungen einstellen als die Gegnerinnen. Viele Teams
haben sich über die Bedingungen aufgeregt und dadurch den Fokus verloren. Das
hat etwas mit Charakter zu tun. Aber natürlich sucht man im Erfolg auch keine
Schuldigen.
China ist
ein Land der Gegensätze.
Häfliger: Wir haben
viel Armut gesehen, Leute die mit rostigen Tassen um Geld betteln. Viele Leute
besitzen nichts. Dem Land fehlt eine Mittelschicht. Schon bei der Carfahrt in
die Eishalle wurde das augenfällig.
Welche
Eindrücke nehmen Sie aus China mit?
Häfliger: Es ist ein
schmutziges Land, fast ohne Grünflächen. Die Luft ist schlecht, überall
dominiert ein anderer Geruch. Wir nannten das «Cocktail Air». Aber die Menschen
sind sehr hilfsbereit und höflich, sie geben ihr Bestes. Es ist einfach anders
als bei uns, man muss das mit eigenen Augen gesehen haben.
Wie muss
man sich eine chinesische Stadt wie Harbin, euren Spielort, vorstellen?
Häfliger: Die Stadt
zählt neun Millionen Einwohner, wir haben wahrscheinlich nur etwa 1 Prozent der
Stadt gesehen. Es hat viele Hochhäuser, auf den Strassen herrscht ein Chaos,
zahllose Leute, Autos und Velos sorgen für ein heilloses Durcheinander. Die Luft
ist stickig und düster.
Hat man
bereits etwas davon gespürt, dass in weniger als vier Monaten die Olympischen
Spiele in China stattfinden?
Häfliger: In Harbin
hat man nichts davon gemerkt. In Peking ist das anders. Überall gibt es Stände
mit Olympia-Souvenirs, die Stadt ist voller Werbeplakate und überall wird noch
gebaut. Ich hatte den Eindruck, die Leute wissen noch nicht so recht, was da auf
sie zukommt. Wenn bereits 24 Schweizerinnen am Flughafen für ein logistisches
Problem sorgen, wie ist es dann, wenn Tausende Athleten ins Land einreisen?
Habt ihr
von den Diskussionen um Tibet während eurer Zeit in Harbin etwas mitbekommen?
Häfliger: Wir haben
uns über das Internet informiert und wuss- ten, was läuft. Aber im Gespräch mit
den Leuten erfährt man nichts über Tibet. In Peking haben wir Plakate mit den
olympischen Ringen und dem Schriftzug «Tibet» gesehen, auch in den Zeitungen ist
uns das aufgefallen. Vom Inhalt haben wir natürlich nichts verstanden. Aber
unter uns Spielerinnen war Chinas Verhältnis zu Tibet schon ein Thema.