vl: Christine Meier, Kathrin Lehmann, Monika Leuenberger
Nach der WM in Harbin wollte frauennati.ch natürlich nicht nur von den Coaches wissen, was in China abging, sondern auch von den Spielerinnen. Stellvertretend dafür führte frauennati.ch ein Gespräch mit dem Captain-Team.
Frauennati.ch: Hallo zusammen, es sind nun bereits wieder ein
paar Wochen vergangen, seit diesen triumphalen Tagen im Fernen Osten. Danke dass
ihr euch die Zeit nehmt um uns ein paar Antworten zu liefern. Ka, ich darf dich
doch bei deinem Spitznamen nennen, oder? Ka, gerade heraus gefragt, was war mit
euch in Harbin los, dass so ein Exploit möglich war?
Kathrin Lehmann (Ka), Captain: Natürlich darfst du – wenn mich im Sport jemand
„Kathrin“ nennt, dann denke ich immer jemand anderes sei gemeint..
Was mit uns los war? Wir haben einen hervorragenden Staff gehabt, der uns
Anweisungen gab, denen wir blind – oder mit „bizli Blinzlä“ – gefolgt sind. Und
gerade diese Mischung aus guten Guidelines und Eigenkreativität hat uns zusammen
geschweisst und erfolgreich gemacht.
Grossartig! Wie hast du das bei den anderen Teams erlebt?
Welchen Eindruck machten sie auf dich/euch?
Ka: ich glaube, dass keine andere Nation sich so gefreut hat wie wir, dass die
WM in China statt fand. China war für uns ein gutes Pflaster und man konnte
regelrecht spüren, dass wir uns auf diese Herausforderung auf und neben dem Eis
gefreut hatten. Wir wussten egal, was passiert: Wir haben uns – und das ist
viel! Und ich glaube gerade diesen Gedanken trugen wir als einziges Team in
unserem Herzen. Dies hat uns von allen Nationen unterschieden und unberechenbar
und stark gemacht.
Mo, auch dir darf ich sicher so sagen, oder? Wann merkt man
eigentlich als Team in einem Turnier, dass etwas aussergewöhnliches drin liegen
kann?
Monika Leuenberger (Mo), Assistenzcaptain: Schwierige Frage. Meiner Meinung nach
merkt man als Team nicht direkt, dass etwas aussergewöhnliches drin liegt. Es
scheint mir viel mehr so, dass man spürt, dass neben den grossen auch die
kleinen Dinge stimmen. Dass man als einzelne spürt, dass wirklich jede/jeder
seinen Job macht und diesen gut und richtig. So sind es am Ende viele kleine
Puzzle-Teile die sich zu einem Ganzen zusammenfinden und plötzlich stehst Du vor
dem fertigen Bild und musst erkennen: „Wow, das haben wir erreicht!“
Du bist ja jetzt alleinige Weltrekordhalterin in Sachen Anzahl
Jahre zwischen der ersten und der diesjährigen Teilnahme an einem A-Turnier. 18
Jahre sind es nun, während denen du an Weltmeisterschaften teilgenommen hast.
Bist du dir dessen bewusst?
Mo: Eigentlich nicht wirklich. Denn in der Garderobe ist das Alter grundsätzlich
kein Thema. Doch je nach CD die in die Stereoanlage eingelegt wird muss ich doch
feststellen, dass ich zu einer anderen Generation gehöre :-)
Chrigi, auch dein Spitzname sei mir hoffentlich erlaubt, es
war das erste Medaillenspiel an Weltmeisterschaften für die Schweiz. Was ging
dir nach dem Spiel gegen Russland durch den Kopf?
Christine Meier (CM), Assistenzcaptain: Zuerst einmal war ich erleichtert, dass
wir den Match mit viel Kampfgeist und Siegeswillen gewinnen konnten. Unmittelbar
nach dem Spiel konnte ich noch nicht so richtig fassen, was wir soeben erreicht
haben. Erst am Abend im Bett, als ich das Ganze Review passieren liess, konnte
ich es begreifen.
…und was waren deine Gedanken zum Medaillenspiel?
CM: Erwarte nichts – gib alles :)
Für mich persönlich stellte Finnland das beste Team an dieser WM und darum habe
ich ihnen immer sehr gerne zugeschaut, wenn sie Match hatten. Plötzlich steht
man selber im Medaillenspiel – eben gegen Finnland. Gut war auch, dass der ganze
Druck auf Finnland lastete und nicht auf uns. Wir hatten schon gewonnen.
Nach der Vorrunde war klar, ihr würdet direkt für die
olympischen Spiele in Vancouver 2010 qualifiziert sein. Wie habt ihr davon
erfahren und was ging dir dabei durch den Kopf?
Ka: ich bin ein „grosser Rechni“. Ich hatte alle Szenarien durchgerechnet und
wusste, dass es reichen würde, wenn wir die Deutschen schlagen. Daran gedacht
habe ich aber während des Spiels überhaupt nicht. Da ging es nur um die WM. Aber
es war ein sehr schönes Gefühl, als Michi uns nach dem Deutschland-Spiel gesagt
hat “...egal wie man es rechnet: wir sind dabei!“ ich bekomme jetzt noch
Hühnerhaut wenn ich an diese Situation denke.
Denkst du, hat euch dieser erste Sieg gegen Deutschland
beflügelt oder war das ein normaler Sieg im Turnier?
Mo: Vielleicht nicht beflügelt aber sicher befreit. Die Spiele gegen Deutschland
hatten in den letzten Jahren immer einen wegweisenden Stellenwert. In diesem
Sinne war es eben auch kein normaler Sieg im Turnier sondern eben ein Sieg gegen
Deutschland.
Gleich am anderen Tag kam das Spiel gegen die U.S.A. und eine
erwartete, deutliche Niederlage. Zweifelt man danach an sich oder gehören
Niederlagen gegen die U.S.A. schon fast dazu?
CM: Nein man zweifelt nicht an sich. Es ist klar, dass solche Nationen besser
sind und wir uns mit der Defensive beschäftigen. Geärgert hat mich, dass wir
zwei Drittel dagegen halten konnten und dann noch das eine oder andere Tor in
Kauf nehmen mussten. Denn wir haben wirklich sehr gut gespielt und die
Schiedsrichter liessen sich teilweise auch etwas beeinflussen von „grossen“
Nationen. Aber wir haben uns durchgekämpft und einen positiven Eindruck
hinterlassen.
Du spielst seit 2 Jahren in Schweden bei AIK Solna. Wie war es
nun, gegen deine Kolleginnen zu spielen und vor allem, wie fühlte es sich an,
mit insgesamt 3 Toren am sensationellen Sieg gegen Schweden beteiligt gewesen zu
sein?
Ka: ich kann in Worten nicht erklären, was dieser Sieg für die Schweiz und
natürlich für mich persönlich bedeutet. Es war schön gegen 7 Mitspielerinnen zu
gewinnen, die die „Schweiz nie für voll nahmen“. Dass mir ausgerechnet noch 2
Tore und der entscheidende Penalty gelang macht für mich das Spiel
unvergesslich. Der Respekt gegenüber mir ist horrend gestiegen. Dieses Spiel ist
sicherlich einer meiner Höhepunkte in meiner Eishockey-Karriere.
Wie kam es eigentlich dazu, dass du den ersten Penalty
geschossen hast. Wolltest du diesen Schuss oder wurde das bestimmt?
Ka: ja, ich wollte ihn! Ich glaube, ich hätte René geschlagen, wenn er ihn mir
nicht gegeben hätte. Ich hatte viel Selbstvertrauen aufgrund der zwei Tore
während des Spiels und vor allem auch, weil ich mit Flo, unserer Torfrau in den
Trainings, geübt habe. Und wenn ich den Penalty gegen Flo versenke, dann
versenke ich ihn gegen jede Torfrau der Welt. Ich wusste, dass ich treffen würde
– und wollte den ersten Penalty schiessen, weil es gleich noch einmal ein
mentaler Knick für die Schwedinnen war „schon wieder Lehmann!“.
Zum Russlandspiel gibt es festzuhalten, dass sie wesentlich
mehr Schüsse auf euer Tor abgaben als ihr auf ihres. Wie spürt man diesen Druck
als Verteidigerin?
Mo: Natürlich will man in solchen Situationen nicht diejenige sein, die den
Fehler begeht und ein Gegentor provoziert. Gerade wenn dann noch Strafen
ausgesprochen werden und man in Unterzahl agieren muss ist es eine Nervenfrage.
Doch ich denke nicht, dass Verteidiger den Druck anders spüren als Stürmer. Jede
hat auf dem Eis ihre definierte Aufgabe die es unabhängig vom Spielstand zu
erfüllen gilt. Im weiteren haben gerade in solchen engen Spielen die Coaches auf
der Bank einen unglaublich guten Job zu machen. Wie man am Endresultat sieht
hatten sie ein sensationelles Fingerspitzengefühl.
Du warst ja an einer der Schlüsselszenen in jenem Spiel
beteiligt. Nämlich als der russische Captain nach dir trat und anschliessend mit
einer Matchstrafe belegt wurde. Wie hast du die Szene erlebt?
Mo: Der Puck ging auf's Tor und ich wollte mich zu Florence drehen um
Smolentseva abzublocken. Eine andere Russin hielt aber meinen Stock fest und so
liess ich diesen los und drehte mich mit etwas Schwung. Dabei muss ich den
russischen Captain gestossen haben so, dass sie auf unsere Torhüterin und vor
allem auf deren Stock und Schlittschuh viel. Sie hat sich beim Sturz weh getan
und dann, vielleicht auch durch die Anspannung des Spiels, einfach mal kurz die
Nerven verloren. Ihr Pech, dass der Linesman gleich daneben stand.
Ihr habt im Bronzespiel nach 20 Minuten mit 1:0 geführt. Wie
habt ihr das erlebt? Gab das Druck auf euch?
CM: Ah dieses Tor zum 1:0 war sensationell! Es gab uns Kraft, Wille nochmals Gas
zu geben, den Extraschritt zu laufen und an das Wunder zu glauben.
Du hast beim Stand von 1:3 mit einem Sololauf über das ganze
Feld fast noch das 2:3 Anschlusstor gemacht. Wie war das, als der Puck leider
nur an die Querlatte ging?
CM: Das hat mich sehr „gewurmt“, denn wenn wir das Anschlusstor erzielen hätten
können, wäre vielleicht auch noch das 3:3 gefallen… was wäre wenn…
Gehen wir neben das Eis. Wie war die Unterkunft für euch im
selben Hotel wie alle anderen Teams. Gibt es da besondere Momente oder erträgt
man seine Gegnerinnen am Nachbartisch einfach so?
Ka: wir hatten Glück, dass wir mit den Schwedinnen noch die angenehmste
Mannschaft neben uns als Tischnachbarn hatten. Sie beachteten uns sowieso nicht
so gross – erst nach dem Spiel gegen Sie, aber dann war für sie das Turnier
vorbei und sie hatten andere Essenszeiten als wir :). Generell beachtete
ich die Gegnerinnen nicht sonderlich. Wir Schweizerinnen assen immer
geschlossen. Wir waren auch die einzige Mannschaft, die immer nur an 2 Tischen
assen – alle anderen sassen an drei, vier Tischen. Bei uns waren also immer rege
Tischgespräche – und vor allem auch Tischgelache.
In 18 Jahren, wie ist das mit dem Essen. Gab und gibt es immer
dasselbe auf den Tisch oder hat die Küche auch mal was abwechslungsreiches
gezaubert?
Mo: Der Speiseplan ist natürlich immer auch abhängig davon, in welchem Land das
Turnier ausgetragen wird. So wurde mir während meiner Karriere schon manch
spannendes Menue vorgesetzt. An Weltmeisterschaften ist es aber eigentlich immer
so, dass man sich an einem Buffet bedienen kann und dort findet meist jede etwas
das ihr schmeckt. Die jüngsten Veranstalter schienen aber eine besondere
Vorliebe für Broccoli und Rüebli zu haben.
Wie hast du die Stadt erlebt, wie ist China für eine/n
Fremde/n?
CM: Andere Länder – andere Sitten. Ich glaube mit diesem Motto lässt sich alles
klären. Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit einem europäischen Land. Smog,
verdreckte Luft, penetranter Duft überall, spezielles Essen, gefährlicher
Verkehr u.s.w
Ja, es waren schwierige Umstände, aber da wir nicht das erste Mal in China
waren, wussten wir in etwa was auf uns zu kommen wird und sind vom Staff auch
dementsprechend vorbereitet worden.
Ihr seid alle wieder zurück im Alltag, was waren die
Reaktionen hier in der Schweiz, resp. in Schweden?
Ka: ich habe unendlich grossen Respekt erhalten. Sowohl von den
Eishockeyspielerinnen, sowie auch von den Fussballerinnen. Auch in den Medien
erhielt ich grosse Aufmerksamkeit und vor allem Respekt. Schweden ist eine
Sportnation. Eine Leistung wird mit Anerkennung honoriert, die bleibt. Man
vergisst hier nicht, was wir Schweizerinnen geleistet haben – und dass mir drei
Tore gelangen.
Keine negativen Bemerkungen in Schweden?
Ka: Nein – nur, dass ich meinen Kabinenplatz bitte räumen soll :)
Und bei dir, was ging ab nach der Rückkehr?
Mo: Nun der Empfang am Flughafen war schon eine ganz tolle Sache! Ich bekam dann
auch Mails mit Glückwünschen und meine Eltern erzählten, dass sie einige
Male auf unser Abschneiden hin angesprochen worden waren.
Wie kamst du wieder in den Alltag, wie in den Job, die Schule
etc? Ist das nach so einem Erlebnis besonders schwer?
Mo: Für mich ist es immer schwer aus der Nati nach Hause zu kommen. Unabhängig
vom Resultat. Man kommt aus einer anderen Welt. Am Flughafen gibt es dann einen
Knall und jede/jeder verschwindet zurück in den Alltag. Es ist wie aus einem
Traum geweckt zu werden. Ich brauche da auch schon mal eine Woche um los
zulassen und auch im Kopf wieder Heim zu finden.
Was hattest du für Reaktionen?
CM: Von allen Seiten gingen sehr positive Reaktionen ein und man merkt, dass
durch unsere konstant guten Leistungen das Frauenhockey erfreulicherweise in der
Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen wird.
Du musstest früh wieder an die Arbeit. Wie hast du den Jet Lag
verarbeitet?
CM: : Ja, ich musste am Dienstag nach drei Wochen „Traumwelt“ wieder Arbeiten
gehen. Es war sehr schwer wieder in den Alltag einzusteigen, da ich erst das
Geschehene verarbeiten musste und wollte. Mental bist du immer noch im Team bez.
an der WM und eigentlich bis du „back in the real life“. Am Anfang hatte
ich ein bisschen Mühe mit dem Jet Lag. Nachmittags war meine Batterie jeweils
leer. Mit der Zeit hat sich aber auch das wieder eingependelt.
Nächstes Jahr geht’s nach Finnland. Was erwartest du dort?
Werden die Bedingungen anders sein?
Ka: Die Bedingungen muss man akzeptieren oder so gut es eben geht zurecht
biegen. Fakt ist, dass uns „little Swiss“ nun jeder auf der Rechnung hat. Wir
werden keinen Exploit mehr im Stillen vorbereiten können. Es wird ganz
schwierig, die WM 2008 zu bestätigen.
Machst du dir schon Gedanken über die Vorrundengegner
Kasachstan und Finnland?
Mo: Augenblicklich denke ich noch nicht ganz so weit. Es wird aber wohl nie an
einer A-WM einfache Spiele geben. Doch ich vertraue darauf, nein ich weiss, dass
René Kammerer und der Staff der Nati uns in einem Jahr da haben wird wo wir sein
müssen.
Was läuft jetzt im Frühling. Spannt ihr da aus oder seid ihr
schon wieder mitten in der Vorbereitung?
CM: Ehrlich gesagt bin ich noch am ausspannen :) nein im Ernst, das
Sommertraining ging bereits wieder los und ich bereite mich gut auf die nächste
Saison vor – es gilt viel zu verteidigen an der nächsten WM!
Dieselbe Schlussfrage wie bei den Coaches. Wenn jeder den
prägendsten oder eindrücklichsten Moment der WM erzählen müsste, welcher wäre
das und warum?
Ka: Die Pause im Schwedenspiel vor der Verlängerung. Irgendwie war ich müde,
fröhlich, angespannt – ich wusste überhaupt nicht was geschah, spürte, dass was
möglich war, aber realisierte nicht, was es eigentlich war „was möglich sein
könnte“. Ich war so locker, angstlos – irgendwie gefühllos – und doch wusste
ich, „wir gewinnen!“.
Mo: Es fällt mir schwer die WM auf einen einzigen Moment zu reduzieren. Doch ich
denke das ganze Dopingkontroll-Prozedere im Anschluss an das Bronzespiel wird
mir noch lange in Erinnerung bleiben. Eine Antwort auf das Warum würde hier aber
wohl zu weit gehen.
Chrigi: Zum einen war ich tief beeindruckt, als beim Schlusspfiff im
Medaillenspiel und unserer Verabschiedung in der Eishalle von Harbin alle Fans
mehrheitlich für uns applaudiert haben, zum anderen war ein weiterer
eindrücklicher Moment abseits vom Eishockey der Stromausfall im Hotel… no
comment… :)
Ka, Mo, Chrigi. Herzlichen Dank für eure Zeit und viel Erfolg in der neuen Saison.